Lingua   

Ein Krampenschlag vor Tag

Theodor Kramer
Lingua: Tedesco


Theodor Kramer


Was bin ich nur so jäh erwacht?
So früh? Es ist noch lang nicht Tag.
Fahl liegt die Kammer, durch die Nacht
hallt eines Krampens dumpfer Schlag.
Vorm Fenster steht ein Mann und schwingt
den Schaft und bricht das Pflaster auf;
der scharfe Hauch der Erde dringt
mit jedem Schlag zu mir herauf.

Vor Schwäche dreht es mich zur Wand;
lang ist es her, schon viel zu lang,
daß auf dem Steig gespreizt ich stand
bei Nacht und selbst den Krampen schwang.
Die Funken stoben und wie Wein
roch scharf der Grund; das ist vorbei.
Ein andrer lockert Stein um Stein
und weckt mich vor dem Hahnenschrei.

Der du vorm Fenster stehst: vielleicht
hab ich vor Jahren dich gekannt
und dir die Schaufel zugereicht
und hab dich meinen Freund genannt.
Das ist vorbei. Lang hungert mich.
Ich tät dein Werk genau so gut.
Und säh ich auf der Straße dich,
ich zöge nicht vor dir den Hut.

Weißt du, Gesell, was Hunger ist?
Und weißt du's auch, was gilt es mir!
Den Karren, der die Erde frißt,
der Scheit, den Krampen neid ich dir.
Ich ließ' dich nicht herein zur Tür;
du reißt mit jedem neuen Schlag,
kannst du auch zehnmal nichts dafür,
mehr als das Pflaster auf vor Tag

Den tiefen Riß, du schüttest nicht
solang du lebst, mit nichts ihn zu.
Am Barren schwingt das rote Licht,
die fahlen Sterne gehn zur Ruh.
Ein Zug geht, draußen auf dem Steig
verhallt der letzte Krampenschlag;
ans Fenster schlägt ein schwarzer Zweig.
Mich friert. Es ist noch lang nicht Tag.



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