Language   

Die Hungerkünstlerin

Friedrich Hollaender
Language: German




Weil ick zu Hause viel jehungert habe,
Jab schließlich ick der heiljen Kunst mir hin.
Stolz nenn ick mir das Mädchen aus dem Grabe
Jenannt Fakira, Hungerkünstlerin.
In einem Käfig ohne Tür und Ritzen,
Aus dickem Jlas, wie im Aquarium,
Sieht man mir dreiundzwanzig Tage sitzen
Und jarnischt essen, wertes Publikum,
Ick wirke manchmal wie ne Offenbarung,
Det rührt von meinem blassen Antlitz her.
Paar Flaschen Wasser dienen mir zur Nahrung,
Ick treibe keinerlei Geschlechtsverkehr.

Vor hohe und vor allerhöchste Kreise
Hab ick jehungert, was mir tief bejlückt.
Ick hab von Kaiser Wilhelm Junstbeweise:
Er hat in Breslau mir die Hand jedrückt.
Daß der bejeistert war, kann ick begreifen,
Er hatte ja noch keenen hungern sehn.
Ick aber mach mir nischt aus Kranz und Schleifen,
Ick möchte mal mit jemand essen jehn.
Denn von dem vielen Hungern kriegt man Hunger,
Und meine Gage is ein Hungerlohn.
Ick träum, vor Restorangs herumzulungern
Mit süßem Bratenduft und Jrammofon.

Mitleid von Menschen,
die mir nachts betrachten,
Muß ich verzerrt durch meine Scheiben sehn.
Sie! Sag’n Sie mal: Kann ick Ihr Mitleid pachten,
Und wolln Sie mal for mir in Käfig jehn?
Hier is es schön! Und hier is alles Scheibe!
Man nährt sich so von überschüßje Kraft.
Und wenn ick einmal uff de Strecke bleibe,
Holt mir per Auto ab die Wissenschaft!

Dann stehe ick in anatomschen Werken
(Ein Unikum, wo man nur einmal hat):
FAKIRA ließ vor andre sich nischt merken,
Doch eines Taes war sie det Hungern satt.
Sie war noch jung und is nich alt jeworden,
Abbildung 3 zeigt deutlich ihr Schkelett,
Abbildung 4 die allerhöchsten Orden.

Sie starb an einem Kalbskotlett.



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